Von Ava Lyna

 

Nach meinem Erlebnis habe ich versucht, meine sich darum kreisenden Gedanken für eine bestimmte Person aufzuschreiben. Deshalb ist der Text an diese Person gerichtet.

Was soll ich sagen… ich rede gern, aber wohl eher, wenn es um alltägliche oder lustige Dinge geht. Hierbei jedoch ist es anders, denn es ist so neu für mich, so unberührt von allen schlimmen Dingen, die sich über mein Empfinden gelegt hatten. Bis jetzt.

Es war ein Samstag und ich war auf dem Weg zu dir. Leicht entspannt, weil ich zuvor schon ein paar Tage mit meinem Bruder verbringen durfte. Diese unbeschwerten Tage waren selten, da wir so weit voneinander entfernt wohnten und Entspannung als solches lag mir nicht besonders. Auf dem langen Weg nach Hause warst „du“ nun als nächstes Ziel in mein Navigationssystem eingegeben.

Wir hatten nun schon ein paar Monate Zeit gehabt uns kennenzulernen, indem wir gemeinsam für die Uni lernten. Du für deinen Studiengang, ich für meinen. Wegen der Entfernung ganz zeitgemäß über Zoom und beinahe täglich. Da wir uns mittlerweile so gut verstanden, konntest du auf meiner Route durch dieses Bundesland nicht fehlen. Ich schaute auf die Temperaturanzeige meines Autos, es war so heiß, wie schon lange nicht mehr. Das war wirklich anstrengend. Aber die Gedanken, die sich bezüglich unserer bevorstehenden Tage in mir ausbreiteten, ließen mich nur noch diese kribbelnde Nervosität spüren, die langsam eine sanfte Gänsehaut über meine Arme legte. Das fühlte sich gut an. Ich hatte mich jetzt seit über einem Jahr mit dem Thema beschäftigt. Ich hatte gelesen, geredet, geschrieben. Der Vampyrismus war für mich zu einem festen Bestandteil meines Gedankenkatalogs geworden. Er hatte bereits ein festes Zimmer in meinem inneren Haus, wenn man so will. Aber nur zur Miete. Denn insgeheim hegte ich eine kleine Hoffnung, dass der Durst aufhört und ich nach dieser Erfahrung seine Irrsinnigkeit erkennen würde, wie eine Seifenblase, die schön aussieht, aber auch bald wieder vergangen ist. Denn das wäre das Leichteste gewesen. Für meinen evangelischen Glauben, für meine strenge Familie und für … mein Leben? Wer weiß.

Ich wollte es also wissen. Trotzdem ging ich erst einmal nur davon aus, dieses Wochenende zu spenden. Hierauf freute ich mich auf eine mir unerklärliche Weise. Ich hatte eigentlich zu wenig Energie gerade, aber ich wollte beide Seiten der Medaille verstehen und tat, was notwendig war. Dachte ich. Und kam an.

Da standest du nun vor mir. Das Unbehagen der ersten paar Minuten war schnell verflogen und wir fanden Gesprächsthemen. Du zeigtest mir dein Zuhause und wir verbrachten einen schönen Tag zusammen in einer großen Stadt. Durch viele lustige und schöne Ereignisse bestätigte sich unsere Sympathie zueinander. Das tat gut zu realisieren. Jemand, der mir so ähnlich war, und doch so anders. Es war schön. Vage begann ich dieses Gefühl zu genießen und fing an zu vertrauen. Ich war erleichtert, dass augenscheinlich alles gestimmt hatte, was du mir über dich erzählt hattest.

Am Abend lag die Situation dann glasklar vor uns. Wir wollten es wagen. Ich… wollte es wagen, für dich war das alles nichts Neues mehr. Trotzdem empfandst du diesen Moment als Ehre, was mich zunächst stark verdutzt hat. Sollte ich es nicht eher als Ehre betrachten, in dein Wissen eingeweiht zu werden? Naja, so hatten wir jedenfalls einen beidseitig respektvollen Standpunkt, was dem gesamten Vorhaben eine Vorfreude verlieh.

Ich dachte, eine Dusche könnte meine Nervosität ein wenig bändigen… Fehlanzeige. Ich setzte mich also auf dein Sofa und atmete tief durch. Du hattest schon ein paar Utensilien hervorgeholt, die wir bereits vor Wochen besprochen hatten. So kam mir in dieser neuen Situation dennoch alles vertraut vor. Ich hatte genügend Zeit gehabt, mich an die Vorstellung zu gewöhnen, dass eine Klinge nicht aus Zwecken der Selbstverletzung, sondern aus einem effektiven Grund in meine oder in deine Haut schneiden würde.

Du sagtest etwas, das mich stark berührte: Du wolltest mir zuerst spenden, denn ich sei jetzt gerade wichtiger. Das war mehr Achtung vor dieser Situation, als ich auszuhalten glaubte. Es fühlte sich gut an.

Du wähltest eine Stelle an deinem Körper aus und schnittst sie langsam auf. Diese paar Sekunden dauerten eine Ewigkeit für mich. Meine Nervosität überschlug sich ebenso, wie die Zweifel, die in mir aufkamen: Was ist, wenn ich gleich auf die Toilette rennen muss und mich übergebe? Wie respektlos und unangenehm das wäre… Was, wenn mein Kreislauf sich verabschiedet? Wenn ich merke, dass es einfach eklig ist, so eklig wie man das hier doch eben finden sollte? Oder die schlimmste Befürchtung: Was, wenn ich morgen aufwache und es war gut; und dann überkommt mich ein nie zuvor verspürtes schlechtes Gewissen gegenüber meinem Glauben, für den ich so lange meine Rechtfertigung gesucht hatte. Dann würde ich etwas brauchen, was ich mir nicht gewähren kann.

Die Gedanken flogen mit einem Blick aus meinem Kopf heraus. Es war der Moment, in dem du mir deinen Arm reichtest und mich Mut machend ansahst. Freundlich und verbunden. Dein Arm. Das Blut.

Es sah so schön aus. Wie es aus deinem Schnitt zu Laufen begann und feine Perlen am äußeren Rand der feinen Linie formte. Ich nahm deinen Arm in meine Hände, als überließest du ihn mir nun. Nie zuvor hatte sich das Verlangen zu Trinken so groß angefühlt, wie es jetzt gerade der Fall war. Trotzdem zögerte ich einen Augenblick aufgrund der Andächtigkeit, die in mir aufkam. Ein Gefühl von Ehre. Dann begann ich sehr langsam und zaghaft zu trinken. Der Moment, in dem ich dein Blut in meinem Mund schmeckte, war der wohl mit Abstand befriedigendste Augenblick, den ich mir für diese Situation wünschen konnte. Mein ganzer Körper wurde warm und reagierte auf die Situation, indem mich bei jedem weiteren Schluck das Gefühl einer unbändigen Freiheit und Freude weiter fortriss. Ich fühlte mich ein wenig beschwipst, dabei aber sehr klar. Gleichzeitig zog mich das Gefühl einer auf diese Weise nie erlebten Nähe-Erfahrung zurück in dein Zimmer und schien uns zu verbinden. Ich versuchte diese Nähe zu kategorisieren, als ich kurz innehielt. Das war keine Nähe aus einer Ehe, das war keine Nähe aus einer Freundschaft, sondern etwas völlig Neues, Undefinierbares, wenn nicht selbst erlebt worden. Ich atmete abermals tief durch. Dieses Mal nicht um der Anspannung zu entfliehen, sondern um Leichtigkeit zu spüren, die mich auf paradoxe Weise zu erden schien und mich in einen Frieden fallen ließ. In Ruhe. In Gelassenheit. Ich war gelassen, obwohl ich es sonst nicht so mit Entspannung hatte. Das war sehr verwunderlich schön. Aufbauend. Als trüge dieses Gefühl dafür Sorge, dass ich bei mir blieb, eine Einheit mit mir selber bildete und mir nun endlich genügte. Ein fehlendes Element im Bild wurde eingefügt.

Du fragtest mich, wie ich mich fühlte und alles was ich rausbekam, war: „Richtig. Ich fühle mich richtig.“ Das war wahrscheinlich der Versuch zu verbalisieren, dass ich mich so sehr nach mir selbst fühlte, wie ich es nie in meinem Leben getan hatte. Das war für mich richtig. Nicht als Beifahrer meinem Leben zuzusehen, wie es vor mir wegfuhr. Sondern selbst der Fahrer zu sein. Nicht mehr zu schlafen. Sondern wach zu sein. Erwacht zu sein.

„Und ich höre gerade so gut!“, fügte ich hinzu. Du erklärtest mir, dass das durchaus sein kann und ich erhielt noch einige andere Informationen. Immer wohl dosiert, als Zwischengang, wenn man so will.

Ich fiel dir in die Arme. Ich fühlte mich, als käme ich nach Hause. Als wäre ich einfach nur lange weg gewesen und wäre jetzt wieder da. Wie eine alte Frau, die sich an früher erinnert. Du freutest dich mit mir. Mein zufriedenes Schmunzeln war nicht mehr aus meinem Gesicht zu kriegen.

Da war noch so viel mehr Emotion, noch so viele Gedanken in dieser Situation. Aber das sind unsere Erinnerungen.

Du hast mir an diesem Abend einen Weg gezeigt, der mich zu mir selbst führt. Der meinen Füßen einen sicheren Stand gibt. Der meinem Herzen eine Richtung weist. Und der meinem Kopf Klarheit verschafft.

Dafür danke ich dir.

 

 

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